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Design im Wandel

Designdisziplinen erfahren derzeit tiefgreifende Veränderungen durch technologische Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz. Gleichzeitig steigt in vielen Branchen der Stellenwert von Design, weil es als wichtiger Faktor zur Optimierung von Prozessen, Produkten, Kommunikation und zur Schaffung von Innovationen betrachtet wird (McKinsey 2018). Forschung wird damit zum unverzichtbaren Bestandteil von Design und ist in vielen Designstudiengängen bereits angekommen. Dieser Artikel untersucht explorativ Designforschung im deutschsprachigen Raum.

Von fundierter Forschung können Designdisziplinen genauso profitieren, wie die Industrie oder die Öffentlichkeit. Der Artikel erkundet: Wo sind Hotspots für Forschung? Zu welchen Themenfeldern wird geforscht? Daraus können sich neue Anknüpfungspunkte zur gezielten Förderung, oder Kooperationen zwischen Fachbereichen ergeben.

Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse

veröffentlicht im Feb. 2023 • zuletzt geändert am 15.05.2023 (gekürzt und aktualisiert)

Designforschung als Schlüssel zur Professionalität und Innovation

Designforschung lässt sich nach Alain Findeli bzw. Wolfgang Jonas grob in drei Gruppen einordnen: Forschung über Design (Geschichte); Forschung für Design (z.B. User Research); und Forschung durch Design (Research-through Design bzw. Practice-based Research) (Jonas 2007: 191). Etwas allgemeiner gefasst, lässt sich Designforschung als systematisches Vorgehen verstehen, um Designprobleme zu verstehen und neue Lösungen zu finden:

“Design research is systematic inquiry whose goal is knowledge of, or in, the embodiment of configuration, composition, structure, purpose, value, and meaning in man-made things.”

Bruce Archer (1981)

Ein Vorreiter der modernen Designforschung in Europa war England im Bereich des Industrial Design, das in den 1970er Jahren begann und staatlich gefördert wurde. England gehörte somit zu den ersten Ländern mit einer Gesellschaft für Designforschung (Design Research Society) 1967 und für Designgeschichte (Design History Society) 1977 (Bayazit 2004: 24, DHS). Beide gelten heute als renommierte Institutionen.

Im deutschsprachigen Raum hat sich Designforschung erst später organisiert, wie mit der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF) im Jahr 2003, der deutschen Gesellschaft für Designgeschichte (GFDG) im Jahr 2008, dem schweizerischen SwissDesignNetwork (SDN) 2004. In Österreich setzt sich der Verband designaustria mit der Geschichte des Designs auseinander (Maryška 2005, Kern 2008). Daneben gibt es innerhalb des Verbandes eine Fachgruppe zur Designforschung, die seit 2014 besteht.

Forschung lebt vom Wissensaustausch und von der Vernetzung

Zwischen dem Zitat von Bruce Archer, einem Pionier der Designforschung, und heute liegen über vierzig Jahre. Archers Definition passt eher für Industrial Design, denn anfänglich war Designforschung vor allem im Ingenieurswesen oder der Architektur angesiedelt. Forschung damals relevant, um Produkte, Gebäude oder Prozesse zu optimieren. Kommunikations- bzw. Grafik-Design kamen hingegen in der Forschung kaum zur Sprache. Viele Designer/innen sahen daher Designforschung lange Zeit als irrelevant für den Arbeitsalltag (Bonsiepe 2007: 27). Das ist auch insofern verständlich, weil Design im Gegensatz zum Ingenieurswesen oder der Architektur kaum mit feststehenden und verbindlichen Regelsätzen arbeitet (Margolin 1995: 12). Die Bedingungen („constraints“) der Aufgabenstellungen waren für Architektur- und Ingenieursprobleme greifbarer.

Zwischenzeitlich hat sich viel getan und besonders Disziplinen wie User Experience oder HCI sind heute stark von Forschung geprägt. Darüber hinaus existiert eine breite Methodenvielfalt, die allen Designbranchen zur Verfügung steht (O’Grady & O’Grady 2017; Stappers & Giaccardi). Zu wissen, wo und an welchen Themen geforscht wird, kann im Weiteren den Austausch und Kooperationen zwischen Wissenschaft, Industrie und Öffentlichkeit erleichtern.

Datenerhebung

Um eine möglichst umfassende Übersicht zu erlangen, wurde Data Mining bzw. ein inhaltsanalytischer Ansatz genutzt. Neben Universitäten und Instituten wurden Personen anonymisiert erfasst, die im deutschsprachigen Raum (D-A-CH) forschen, lehren oder publizieren. Als Datenquellen wurden die Webseiten der Hochschulen und Institute, sowie die Nationalbibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, genutzt. Zur Recherche wurden zudem die Verlage Birkhäuser, De Gruyter, avedition, Springer, Lars Müller und Transcript herangezogen. Da das Themengebiet explorativ erkundet wurde, besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die Konzeption, Recherche und anschließende Datenerhebung erfolgten über den Zeitraum von 2018 bis 2020. Daraufhin wurden die Daten aufbereitet und ausgewertet.

Länder im Vergleich

Die DGTF in Deutschland setzt sich nach eigenen Angaben für eine „Vernetzung der Designforscher*innen im deutschsprachigen und internationalen Raum“ (DGTF) ein. Die seit 2009 bestehende Fachgruppe der DGTF „Design Promoviert“ fördert Doktorate und veranstaltet vereinzelt auch länderübergreifende Konferenzen (Bredies & Wölfel 2015: 38).

In Österreich besteht, ähnlich wie in Deutschland, schon länger die Möglichkeit an Kunstuniversitäten und -Akademien im Designkontext zu promovieren.

Das SDN in der Schweiz fokussiert sich entsprechend ihrer Webseite auf die „Förderung der Entwicklung, Qualität und ständigen Verbesserung der Designforschung an den Schweizer Hochschulen für Gestaltung und Kunst“ (SDN, eigene Übersetzung).

Absolventinnen und Absolventen im Zeitverlauf

In den letzten Jahren stiegen die abgeschlossenen Doktorate deutlich an. Wie erwähnt wurden nur Personen einbezogen, die zum Zeitpunkt der Erhebung publizierten, unterrichteten oder in der Forschung tätigt waren (insgesamt 550). Der farblich gekennzeichnete Anstieg im Jahr 2020 ist durch gegenwärtig laufende Promotionsvorhaben (N = 44) zu erklären. Die Daten der letzten beiden Jahre 2019 und 2020 unterliegen einer Verzerrung. Denn bis abgeschlossene Dissertationen in Verlagen publiziert sind oder von den Archiven vollständig erfasst sind kann eine längere Zeitspanne liegen.

Wo sind die Hotspots der Designforschung?

Für eine bessere Übersicht werden die Promotionen mehrerer Universitäten innerhalb einer Stadt zusammengefasst. Die Liste mit den meisten Abschlüssen wird von den Hauptstädten Berlin (57) und Wien (57) angeführt. Die Metropolregion Berlin mit Potsdam käme auf 68.

Themenfelder und Forschungsschwerpunkte

Anhand der Universitäten und Publikationen wurden Forschungsgebiete und Schwerpunkte erfasst. Zur besseren Übersicht wurden Schreibweisen angeglichen und Begriffe der nächsten thematischen Obergruppe zugeordnet, soweit dies möglich war. Dadurch reduzierten sich die Forschungsfelder von 416 auf 240. Anschließend wurden die Häufigkeiten berechnet, mit denen Begriffe gemeinsam auftreten, und als Netzwerkgraph visualisiert.

Je häufiger ein Forschungsfeld genannt wurde, desto größer wird es dargestellt. Je öfter zwei Forschungsfelder gemeinsam genannt werden, desto näher rücken sie zusammen. Die farbliche Kodierung orientiert sich am Modularity Clustering. Der Algorithmus berechnet dabei, welche Bereiche wahrscheinlich zusammengehören, indem er die Dichte von Verbindungen zwischen ihnen berechnet und sie einem Cluster zuordnet. Die Einteilungen wurden anschließend manuell überarbeitet. Insgesamt ergeben sich fünf grobe Cluster, die sich aus inhaltlichen Schnittmengen oder ähnlichen Forschungstraditionen erklären lassen:

1) Theorie: Philosophie, Medien- und Kunsttheorie,
2) Designtheorie und -geschichte,
3) Kommunikationsdesign und Information,
4) Methoden und Prozesse,
5) Interaction Design, HCI & Informatik.

Das erste Cluster mit Philosophie, Kunst- und Medientheorie orientiert sich beispielsweise an der klassischen Theoriebildung. Daran schließt Designtheorie an, die Aspekte davon aufgreift und für den Designbereich nutzbar macht. Auch die Nähe von Designforschung zu Produkt- und Industriedesign lässt sich wie eingangs erwähnt historisch erklären. Zudem waren im Industriedesign Faktoren wie Ergonomie viel früher treibende Kräfte, die anwendungsorientierte Designforschung befördert haben.

Die Verortung der einzelnen Cluster sagt zudem etwas über die internen Strukturen aus. So finden sich Communication Design, Visual Communication und Information Design näher im Anwendungsumfeld, als im reinen Theoriefeld. Technisch orientierte Bereiche wie Informatik, HCI und Gamedesign bilden ebenso einen eigenen Custer.

Entwicklung von Designforschung

Der Beitrag liefert einen Einblick in die deutschsprachige Designforschungslandschaft. Die Einteilung der Designforschung in drei Gruppen (über, für, durch) lässt sich in der Themenanalyse der Hochschulen wiederfinden. Theorieorientierte Forschungstraditionen zeigen sich dort genauso wie anwendungsorientierte oder praxisbasierte Forschung. Das Wissen um die thematischen Schwerpunkte kann in weiterer Folge auch Kooperationen zwischen Hochschulen und Forschungsgruppen erleichtern.

Ziel der Studie war die Aufstellung der deutschsprachigen Designforschung zu erheben. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, die vorhandenen Potentiale zu fördern und auszubauen. Das Verständnis über gemeinsame Schnittmengen und Themengebiete kann helfen die Theoriebildung und Forschung voranzubringen.

Designforschung als Bestandteil der Praxis

Datengetriebene Technologien, Künstliche Intelligenz und neue Anforderungen werden die Design-Disziplinen in Zukunft weiter verändern. Designforschung sollte daher als regulärer Bestandteil des Studiums betrachtet werden und nicht auf spezielle Kurse oder Abschlussarbeiten beschränkt sein. Durch die Förderung von Designforschung werden Fähigkeiten entwickelt, Design fundiert argumentieren zu können und nachvollziehbar zu machen. Je verlässlicher Design als Wertschöpfungsfaktor und Innovationstreiber erkennbar ist, desto einfacher lassen sich Kooperationen mit anderen Disziplinen aufbauen. Designforschung wird weiter an Bedeutung gewinnen, um Lösungen für neue komplexe Problemstellungen zu finden.

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Matthias Tratz arbeitet im Bereich Design und Data Science. Seine Arbeiten wurden mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Derzeit forscht er an der Vorhersage von Design Patterns für verschiedene Industriebranchen.

Grenzen der Aussagekraft

Die Daten geben einen Überblick darüber, was zum Erhebungszeitraum für Außenstehende sichtbar war, ohne Garantie auf Vollständigkeit. Darüber hinaus gibt es eine Reihe an Forschungsaktivitäten, die auf dieser öffentlichen Ebene nicht abgebildet werden. Zudem liegt der Fokus der Studie nur auf Designforschung. Um Zusammenhänge verständlich darstellen zu können, ist an vielen Stellen eine Abstraktion und Reduktion notwendig. Diese methodische Einschränkung ist notwendig, um insgesamt einen Überblick zu erhalten. Aus den Ergebnissen lassen sich keine Werturteile ableiten. Vielmehr werden die Vielfalt und das Potential der unterschiedlichen Forschungszugänge und -traditionen sichtbar.

Quellen

  • Archer, B. (1981). A view of the nature of design research. Design: science: method, 1, 30-47.
  • Bayazit, N. (2004). Investigating design: A review of forty years of design research. Design issues, 20(1), 16-29.
  • Bonsiepe, G. (2007). The uneasy relationship between design and design research. In Design research now (pp. 25-39). Birkhäuser Basel.
  • Bredies, K., & Wölfel, C. (2015). Long Live the Late Bloomers: Current State of the Design PhD in Germany. Design Issues, 31(1), 37-41.
  • DHS [Design History Society] (o. D.). Overview – About. Abgerufen am 1. Februar 2023, von https://www.designhistorysociety.org/about/overview
  • DGTF [Deutsche Gesellschaft für Designtheorie und -forschung] (o. D.). https://www.dgtf.de/dgtf
  • Jonas, W. (2007). Design Research and its Meaning to the Methodological Development of the Discipline. In Design research now (S. 187-206). Birkhäuser Basel.
  • Kern, A. (2008). Österreichisches Grafikdesign im 20. Jahrhundert.
  • Margolin, V. (1995). Design history or design studies: Subject matter and methods. Design Issues, 11(1), 4-15.
  • Maryška, C. (2005). Kunst der Reklame: der Bund Österreichischer Gebrauchsgraphiker von den Anfängen bis zur Wiedergründung 1926-1946. Pustet.
  • McKinsey & Company (2018): The Business Value of Design. https://www.mckinsey.de/publikationen/2018-10-design-studie
  • O’Grady, J. V., & O’Grady, K. V. (2017). A Designer’s Research Manual, Updated and Expanded: Succeed in Design by Knowing Your Clients and Understanding what They Really Need. Rockport Publishers.
  • SDN [SwissDesignNetwork] (o. D.). https://swissdesignnetwork.ch
  • Stappers, P. J. & Giaccardi, E. (o. D.). Research through Design. The Interaction Design Foundation., von https://www.interaction-design.org/literature/book/the-encyclopedia-of-human-computer-interaction-2nd-ed/research-through-design.

Definition von Design für die Erhebung

  • visual design, graphic design, communication design, media design
  • interaction design, UI, UX, information design
  • VR / AR, game design
  • product design, industrial design, transportation design
  • theory, design history, design theory, design research
  • design related art history / -theory

Ausschlusskriterien
Nachdem der Fokus auf Design liegt, wurde darauf geachtet die Kerndisziplinen wie Grafikdesign, Kommunikationsdesign, Interaktionsdesign, Produktdesign, Designtheorie, Designwissenschaft abzubilden. Reine Architektur, Architekturtheorie, Modetheorie, Filmwissenschaft, Medientheorie, Cultural Studies, oder ähnliche Theoriefelder als eigenständige Fachstränge ohne Bezug zu Design wurden nicht in die Untersuchung mit einbezogen. Beispiele dafür:

  • philosophy, art theory (major)
  • academies of film, film studies
  • conservatory, music (major)
  • audio design
  • media studies
  • fashion, textile

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